Psychische Traumata: wie erkennen und behandeln

Psychische Traumata sind „Verletzungen“ durch unverarbeitete und krank machende Erlebnisse. Sie können seelische und psychische Narben hinterlassen und Ursache körperlicher Beschwerden sein.

Psychische Traumata verursachen Dauerstress. Und solcher Stress verändert das Gehirn. Folge ist eine erhöhte Bereitschaft, mit Angst und (Drogen- / Alkohol-/…-) Abhängigkeiten und mit Depression zu reagieren! Nach einigen Monaten beginnen sich das krankhafte Erleben und Verhalten so zu verfestigen, dass eine Therapie immer weniger erfolgversprechend wird.

Um gegensteuern zu können, sollten alle Helfer von Geflüchteten Psychotraumata so früh wie möglich erkennen können! Und ein Gespür dafür kann jeder entwickeln. Bitte, nehmt Fortbildungsangebote wahr! Und lest bitte, worauf man achten sollte (s.u.).

Eine psychiatrische oder fachpsychologische Behandlung ist zeitaufwändig und kostspielig. Ihre Finanzierung hängt von den Vorgaben des Asylverfahrensbeschleunigungsgesetzes und des Asylbewerberleistungsgesetzes ab.

Gesetzliche Grundlagen

Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz

Auzüge aus dem Bundesgesetzblatt Teil 1 Nr. 40 vom 23.10.2015:

Kassenärztliche Vereinigungen und Krankenkassen sind künftig verpflichtet, befristet und speziell für die Behandlung von Flüchtlingen, die Folter, Vergewaltigung oder schwere psychische, physische oder sexuelle Gewalt erlitten haben, Psychotherapeuten und Ärzte zu ermächtigen.

Die neue Regelung greift jedoch erst, wenn ein Flüchtling nach 15 Monaten Aufenthaltsdauer wie ein Versicherter der gesetzlichen Krankenversicherung behandelt wird.

Vorher gelten weiterhin die eingeschränkten medizinischen Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz.

Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz

§ 6 Sonstige Leistungen

(1) Sonstige Leistungen können insbesondere gewährt werden, wenn sie … zur Deckung besonderer Bedürfnisse von Kindern …  geboten sind.

(2) Personen, die eine Aufenthaltserlaubnis gemäß § 24 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes besitzen und die … Folter, Vergewaltigung oder sonstige schwere Formen psychischer, physischer oder sexueller Gewalt erlitten haben, wird die erforderliche medizinische oder sonstige Hilfe gewährt.

Dies gilt nur, wenn auch eine Behandlungsnotwendigkeit besteht! Und die muss durch eine Untersuchung bzw. eine Begutachtung bescheinigt worden sein.

Wie erkennt man psychisch Traumatisierte, die unauffällig scheinen?

Es gibt eine Reihe von psychisch Traumatisierten, deren Verhaltensauffälligkeiten oft den kulturellen Unterschieden zugeschrieben werden.

Solche „asymptomatischen“ psychisch Traumatisierten erkennt man nicht sofort. Sie versuchen, sich nichts anmerken zu lassen.  Aber: sie erleben das Trauma / die Demütigung / die Erniedrigung (auch anderer Menschen) als ins Zentrum ihrer menschlichen Existenz treffend. Mit aufmerksamem Auge  und durch vorsichtiges Nachfragen kann ein aufmerksamer Betreuer oft zu einer Vermutung kommen.

Hinweise auf ein Psychotrauma können sein:

  • Schlafstörungen
  • Alpträume
  • Verhaltensauffälligkeiten
  • Reizbarkeit, Aggressivität, Ausraster,
  • Stimmungslabilität,
  • Zurückgezogenheit,
  • Abstumpfung,
  • Interesselosigkeit,
  • Vermeidung von Blickkontakt,
  • Vermeidung bestimmter Situationen,
  • Übersprunghandlungen,
  • Konzentrationsstörungen,
  • Realitätsverlust (Verkennungen, auch zeitlich: Leben im Augenblick)
  • Depression / anhaltende Traurigkeit

Betreuer von Geflüchteten sollten auf solche Symptome und Hinweise achten.

Psychotraumata haben Folgen

Unbewältigte psychische Traumata werden immer wieder nacherlebt und traumatisieren immer weiter. Sie fördern und verschlimmern

  • Verhaltensauffälligkeiten, Vermeidungsverhalten, Schwermut …,
  • Wesensänderung,
  • sozialen Rückzug,
  • den Übergang in eine Psychose (oft Depression),
  • ein posttraumatisches Belastungssyndrom (PTSD):
    • Abkapselung, ängstliche Vermeidungshaltung und übersteigerte Erregbarkeit, oft mit Angstreaktionen verbunden (posttraumatische affektive Störung),
  • körperliche Leiden (Somatisierung):
    • oft Verspannungen, Kopfschmerzen, Verdauungsstörungen, Bauchschmerzen, Asthma, Herzbeschwerden (Schmerzen, Herzrasen).

Die Klärung solcher Symptome, die vieldeutig sein können, übernimmt der zuständige Arzt (z. B. Hausarzt, der weiterüberweist). Er wird vielleicht auch die körperlichen Symptome mit einem Psychotrauma in Verbindung bringen können.

Wie man helfen kann

Psychisch auffällige (symptomatische) Traumatisierte

Menschen, die durch ein seelisches Trauma so leiden, dass sie im Verhalten oder durch körperliche Beschwerden auffällig werden, bedürfen einer ärztlichen Behandlung. Im Zweifel muss über eine fachpsychologische / psychiatrische Begutachtung (z. B. durch den sozialpsychiatrischen Dienst des Gesungheitsamts) die Kostenübernahme geklärt werden.

Innerhalb der ersten 15 Monate:

Medizinische Hilfe nur dann,

  • wenn eine Gefährdung von sich selbst und anderer zu gewärtigen ist, oder
  • wenn sich eine Krankheit oder ihre Chronifizierung verhindern lässt.

Bitte den sozialpsychiatrischen Dienst des Gesundheitsamts einbeziehen! Telefonkontakt Gesundheitsamt Idstein, Veitenmühlweg 5; 65510 Idstein (gesundheitsamt.idstein@rheingau-taunus.de) 06126 95957-7925.

Ab dem 15. Aufenthaltsmonat:

Kassenärztliche Vereinigungen und Krankenkassen sind verpflichtet, befristet speziell für die Behandlung von Flüchtlingen, die Folter, Vergewaltigung oder schwere psychische, physische oder sexuelle Gewalt erlitten haben, Psychotherapeuten und Ärzte zu ermächtigen.

Bitte Psychotherapeuten oder Hausarzt kontaktieren! Er weist weiter.

„Asymptomatische“ psychisch Traumatisierte

Innerhalb der ersten 15 Monate:

keine Berücksichtigung bei der medizinischen Versorgung, außer wenn man doch Symptome findet und richtig deutet. Im Zweifel kann der sozialpsychiatrischen Dienst des Gesundheitsamts Bad Schwalbach (Zweigstelle Idstein) zu Rate gezogen werden.

Ab dem 15. Aufenthaltsmonat:

Laut Asylbewerberleistungsgesetz gilt:  Personen, die Folter, Vergewaltigung oder sonstige schwere Formen psychischer, physischer oder sexueller Gewalt erlitten haben, wird die erforderliche medizinische oder sonstige Hilfe gewährt. Dies begründet eine Kostenübernahme einer fachpsychologischen / psychiatrischen Behandlung. Dann Vorstellung beim Hausarzt, der das Weitere entsprechend veranlasst.

Wie kann man helfen, wenn eine Psychotherapie nicht möglich ist?

Eine ambulante Psychotherapie ist immer noch eher die Ausnahme. In der Mehrzahl der Fälle ist die Symptomatik nicht so schwer, dass eine fachpsychologische Hilfe genehmigungsfähig wäre. In einigen Fällen, in denen sie genehmigt wird, wird sie vom betroffenen Geflüchteten (aus vielerlei Gründen, wie kulturell bedingten Vorurteilen, Uneinsichtigkeit oder falschem Stolz) abgelehnt. Eine Therapie kann nicht erzwungen werden.

Eigen- und Fremdgefährdung können jedoch zu notfallpsychiatrischen Maßnahmen und eine Einweisung zwingen. Bei gehäuften Ausrastern sollte auf jeden Fall ein Psychiater / Psychotherapeut oder der sozialpsychiatrische Dienst des Gesundheitsamts eingeschaltet werden.

„Niederschwellige Angebote“

Sie können von jedem Betreuer vermittelt werden und stellen praktisch in jedem Fall eine effektive Maßnahme dar, die im Alltag der Betreuung große Bedeutung haben. Dazu gehören z. B.:

  • einfach nur zuhören, ggf. vorsichtig nachfragen,
  • dazu animieren, sich etwas von der Seele zu malen oder zu schreiben …
  • aus Isolation herausholen:
    • zu Veranstaltungen mitnehmen,
    • in Aktionen einbinden,
    • Gemeinschaft mit der Bevölkerung fördern,
    • mitfeiern lassen,
    • (unentgeltliche) Aufgaben übernehmen lassen,
    • Verantwortung übernehmen lassen oder vermitteln (z. B.Einbindung in Hilfe zur Selbsthilfe, Lerngemeinschaften mit anderen Flüchtlingen initiieren etc.)

Es ist hilfreich, wenn sich Betreuer immer wieder über ihre Erfahrungen austauschen und regelmäßig Fortbildungen zum Thema besuchen.

Hilfe speziell für Kinder

In Wiesbaden gibt es „Starki“ (für „starke Kinder“), ein Hilfsangebot des Psychosozialen Zentrums Mitte für Kinder und Jugendliche psychisch kranker und suchtkranker Eltern (siehe hier).

Hilfen im Internet

  • Kindernothilfe und Kinderschutz siehe hier.
  • Tipps für Eltern und für Betreuer für die Kinderbetreuung (kurz und verständlich) siehe hier.
  • Tipps und praktische Hinweise für Betreuer speziell von Kindern von der Karl-Kübel-Stiftung für Kind und Familie siehe hier (empfohlen vom Ministerium für Soziales Hessen).

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